Ein neuer Abschnitt

Diesmal habe ich seit langem wieder mal Zeit und Muße, einen Versuch zu unternehmen, frei von der Seele zu schreiben.

Die Prüfungen sind ja seit Mittwoch vorbei und wie ich hoffe zum wichtigsten Teil erfolgreich verlaufen. Die tatsächlichen Ergebisse werden wir wohl erst in den nächsten Tagen und Wochen erfahren. Mit dem Ende der Prüfungswoche ist natürlich eine wieder größere Freiheit in Bezug auf die Tagesplanung verbunden. Endlich hat man wieder für all die Dinge Zeit, die einen Erasmus-Aufenthalt vom normalen Studienalltag unterscheiden. Dazu zählt auch die obligate Feier des Endes der Prüfungszeit gemeinsam mit Sylvain, denn die anderen Kollegen haben sich im Zentrum getroffen, von wo ich ja bekannter Maßen nur schwer wieder nachhause komme.

Dazu zählt aber auch der Diskotourismus, zu dem ich mich gestern entschlossen habe. Ziel war die Großraumdisko „La Dune“ am Stadtrand, jedoch auf der anderen Seite von Toulouse. Glücklicherweise haben sich die Betreiber als vernünftig genug erwiesen um einen Shuttlebus vom Campus und zurück anzubieten. Der Abend hat mit der Abschiedfeier von Pascals italienischem Zimmernachbarn im Tripod B begonnen. Treffpunkt war 21:00 Uhr, die Mehrzahl der Leute ist allerdings erst ab 22:20 Uhr eingetroffen. Dann waren die Zimmer allerdings zum bersten gefüllt. Wenn jemand das Zimmer verlassen wollte mussten mindestend fünf andere im Umkreis der Tür nach einem genau choregraphierten Ablauf ausweichen, damit man langsam die Tür öffnen konnte. Eine Zählung ergab, dass sich auf den paar Quadratmetern mit Bett 26 Menschen gedrängt haben.

Nachdem der Nachtwächter das zweite Mal erschienen ist und da seinem Unmut schon ziemlich laut Luft gemacht hat, ist die ganze Bande nach draussen umgezogen. Das war so um halbeins. Aufgrund der in leichter Kleidung nicht gerade komfortablen Temperaturen um diese Zeit, war das gleich ein willkommener Anlass sich zum Shuttlebus aufzumachen. Die Busfahrt von eins bis viertel vor zwei war ein aufschlussreiches Erlebnis. Ich konnte mich davon überzeugen, dass Spanierinnen, wenn sie ihre etwas tiefe und sehr kräftige Sprechstimme dazu verwenden, um fast eine Stunde lang diverse (vermutlich Sauf-)Lieder zu gröhlen, keinerlei Einbußen bei ihrer Stimmcharakteristik hinnehmen müssen. Die Lautstärke dieser Darbietung war unfassbar, es wurde dabei natürlich nach Kräften mitgeklatscht und -gestampft. Ich selber habe mein eigenes Wort, mit dem ich Pascal meine Verwunderung über diese „Naturgewalt“ mitteilen wollte, kaum mehr gehört. Hätte ich mich dazu hinreissen lassen, auch nur fünf Minuten mitzubrüllen, ich hätte 24 Stunden gebraucht um meine Stimme wieder zu bekommen.

Das Lokal selbst war für mich insofern eine Enttäuschung, als es kleiner war und weniger Besucher hatte, als ich erwartet hatte. Es muss wohl einer der ruhigen Abende, wobei sich ruhig hier ausschließlich auf die Besucherzahl bezieht, gewesen sein. Aus Erzählungen sind mir Dinge wie „drei Hallen“ und „2000 Leute“ zu Ohren gekommen. Naja selber habe ich nur einen „Floor“ gesehen, und der war nicht total voll. Die Beschallung, um das Wort Musik nicht zu weit zu dehnen, immerhin hat meinen Erwartungen entsprochen. Diese Erwartungen waren aber auch schon von den oben erwähnten Erzählungen beeinflusst und so haben mich diverse skurrile Tracks, mit denen man in Wien den Besuchern eher zu erkennen gibt, dass sie jetzt lieber gehen sollten, nicht weiter irritiert. Vor allem zu Beginn (also so um zwei) wurden vor allem Dance, Trance und House gegeben. Genau das, was Pascal und ich gerade „gebraucht“ haben. Amüsant war, dass der männliche Teil der Besucher, die sämtlich einer riesigen Kraftkammer entlaufen schienen, sich egal zu welcher Musik, damit begüngt haben ihre überdefinierte Oberkörpermuskulatur auf immer dieseble Weise im Takt zu schaukeln, von Zeit zu seit einen Arm hebend, oder sogar beide. Später hat sich der Schwerpunkt am Mischpult etwas auf Elektronik mit spanischen Vocals verlagert, worauf die anwesenden Sprachverständigen durch ungehemmtes Mitschreien reagiert haben. Das war für mich dann auch das Zeichen, meine sieben Sachen einzusammeln. Immerhin haben mich zugegebener Weise um vier auch schon etwas die Kräfte verlassen. Die Busfahrt habe ich hauptsächlich schlafend verbracht, da ich sowieso von unserer „Partie“ der erste und einzige war, der schon das Shuttle um 4:15 Uhr genommen hat. Um fünf konnte ich mich, nachdem ich den Wecker auf sieben Uhr gestellt hatte, ins heißersehnte Tripodbettchen kuscheln. Um sieben habe ich dann gefrühstückt, geduscht und mit Natascha telefoniert um danach unterbrochen von einem konzentrierten (!) Vorlesungsbesuch von 10:45 bis 12:45 und dem gemeinsamen Mittagessen im RU das Schlafdefizit recht schnell wieder aufzuholen.

Abgesehen von diesen Ausbrüchen von Unvernunft (fast so ein Unwort wie „Unwort“), habe ich jetzt und sicher auch am Wochenende viel Zeit zum Lesen und Nachdenken. Und letzteres kann schon manchmal ziemlich intensiv werden und will systematisiert sein um nicht auszuarten. Die fehlende Notwendigkeit, sich mit unmittelbar stattfindenden oder bevorstehenden Dingen zu befassen, lässt die Gedanken in eine zeitliche Entfernung schweifen, dass gerade diese Distanz eine ungeahnte und mir neue Diversifizität an Hoffnungen, Wünschen, Sorgen und Ängsten begründet. Jedenfalls ist mein Aufenthalt mittlerweile (innerhalb der etwas mehr als letzten zwei Wochen) in einen neue Abschnitt übergegangen, wenn man jemand ist der Veränderungen gerne in Phasen einteilt, was ich hier nur aus Gründen der Anschaulichkeit mache. Und mit dieser Veränderung hat er angefangen, einen seiner hauptsächlichen Zwecke zu erfüllen. Mein Besuch zu Weihnachten wird diese Entwicklung sicher markant unterbrechen, trotzdem und auch deshalb freue ich mich schon sehr drauf, wollte aber die Zeit bis dahin nicht verkürzt wissen.

Genug des Gefühle-in-Worte-fassens von jemandem der darin ungeübter nicht sein könnte. Ich wünsche allen Lesern ein schönes Wochenende. Bis zum vielleicht schon baldigen nächsten Mal, lieber Blog